Viele Unternehmen haben ihre Hausaufgaben bezüglich Nachhaltigkeit schon gemacht. Wie kann man sicherstellen, dass diese Bemühungen und Erfolge bei KundInnen und MitarbeiterInnen ankommen und verstanden werden?
In einer PwC Studie aus dem Jahre 2019 gaben 56% der Board-MitgliederInnen an, dass zu viel Zeit auf Nachhaltigkeitsthemen verwendet wurde.1 Diese Perspektive hat sich über die letzten Jahre rasant gewandelt, da der Erfolg von Nachhaltigkeit quantifiziert werden konnte: So zeigt eine Studie von Accenture auf, dass Unternehmen mit höheren ESG (Environmental, Social & Governance)-Ratings auch bessere finanzielle Ergebnisse erzielen.2 Diese positiven Auswirkungen von Nachhaltigkeit haben in führenden Unternehmen im Top-Management und im Verwaltungsrat Anerkennung gefunden. Besonders der Verwaltungsrat kann hier eine langfristige, generationsübergreifende Perspektive einnehmen.3 Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema, welches sich über die verschiedenen Aufgabenbereiche im Verwaltungsrat zieht, wie zum Beispiel über die strategische, finanzielle und kommunikative Ebene.
Über die letzten Jahre wurden vermehrt Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt, implementiert und überprüft. Manchmal werden die Bemühungen auch von einem CSO (Chief Sustainable Officer)- oder einem ESG-Officer begleitet.4 Ausgiebige Nachhaltigkeits-Reports – im Jahre 2022 hatten 35% der Nachhaltigkeitsreports über 151 Seiten, wohingegen im Jahr 2019 nur 18% der Reports mehr als 151 Seiten hatten – belegen die Bemühungen und Erfolge der Unternehmen.5
Kommen diese nachhaltigen Bemühungen und Erfolge aber auch wirklich bei den KundInnen, MitarbeiterInnen und anderen Stakeholdern an? Hier drei Indikatoren, dass dies in Unternehmen nicht der Fall ist.
1. Indikator 1: MitarbeiterInnen haben kein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit Nur weil ein Nachhaltigkeitsreport vorhanden ist, heisst das nicht, dass das Konzept Nachhaltigkeit im jeweiligen Unternehmen auch gelebt wird. Wahrscheinlich werden die meisten MitarbeiterInnen bestätigen, dass Nachhaltigkeit wichtig ist. Der Weg, wie man zu dieser Nachhaltigkeit kommt, kann in den Köpfen der MitarbeiterInnen jedoch sehr unterschiedlich aussehen: Für die einen besteht Nachhaltigkeit darin, die Wertschöpfungskette CO2-neutral auszugestalten, für die anderen geht es um Tierschutz oder wiederverwertbare Verpackungen. Nachhaltigkeit ist also ein sehr breites Wort – und ähnlich wie in Diskussionen zu Digitalisierung, wird dieses Wort oftmals unterschiedlich verstanden und definiert.6
Für den Verwaltungsrat heisst das: Welches Nachhaltigkeitsverständnis gilt in dem Unternehmen? Was sind die konkreten nachhaltigen Ziele, die verfolgt werden? Wie kann man sich mit diesen Zielen auch sinnvoll von den jeweiligen Mitwettbewerbern differenzieren? Dies sind strategische und kulturelle Fragestellungen, welche teilweise in der Verantwortung des Verwaltungsrats liegen.7
2. Indikator 2: MitarbeiterInnen wissen nicht mit Trade-Offs umzugehen Nachhaltigkeitsziele sind löblich und erwünscht, jedoch kommen sie in der Regel mit Trade-Offs: Erstens stehen nachhaltige Ziele oftmals in einem Trade-OffzufinanziellenZielen. Solljetztbeispielsweise der Einkauf die billigere Variante wählen, oder doch die nachhaltige, welche sich oftmals erst in einer langfristigen Betrachtung auszahlt?8 Wie sollen hier in der alltäglichen Unternehmenspraxis Entscheidungen getroffen werden? Zweitens stehen nachhaltige Ziele auch oftmals in Konflikt miteinander. Dies kann man sich an einem alltäglichen Beispiel verdeutlichen: Ist eine in Plastik verpackte Gurke nachhaltiger, oder eine Gurke, welche nicht in Plastik verpackt ist? Die erste Intuition ist oftmals die Gurke in Plastik als weniger nachhaltig zu bezeichnen. Jedoch bedenkt man hier nicht, dass eine in Plastik verpackte Gurke länger haltbar ist. Welches nachhaltige Ziel wiegt hier mehr: Geht es um die Reduktion von Plastik? Oder geht es um die Vermeidung von Lebensmittelabfällen?
Für den Verwaltungsrat heisst das: Wie wird mit Trade- Offs zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen umgegangen? Wie wird mit Trade-Offs zwischen nachhaltigen und finanziellen Zielen umgegangen? Es handelt sich hier um strategische Trade-Offs. Die Aufgabe des Verwaltungsrats ist es, potenzielle Zielkonflikte zu erkennen und vorrausschauend mit ihnen umzugehen. Auch wenn das Management i. d. R. für die Kommunikation mit den Mitarbeitenden zuständig ist, ist es Aufgabe des Verwaltungsrates, die Kommunikationsstrategie für die nachhaltigen Ziele mitzudenken – mit dem Ziel, dass diese Ziele bei den MitarbeiterInnen ankommen, verstanden und gelebt werden.
3. Indikator 3: KundInnen zweifeln an den nachhaltigen Absichten Immer wieder stellen KundInnen oder andere Stakeholder das nachhaltige Handeln von Unternehmen in Frage. Hier befindet man sich im Bereich des Greenwashings.9 Grob kann man zwei Formen unterscheiden: a) Das faktische Greenwashing – hier behauptet ein Unternehmen etwas im Bereich der Supply Chain oder der Diversität zu tun, was es faktisch nicht tut. Ähnliche Techniken sind Verschleierung oder Betonung von Punkten, welche eigentlich nicht wirklich relevant sind (zum Beispiel die Aufschrift «FCKW-frei», obwohl dies in gewissen Ländern schon länger untersagt ist). b) Das unterstellte Greenwashing – Unternehmen verhalten sich nachhaltig. KundInnen und Stakeholder zweifeln jedoch an, dass die Unternehmen es ernst meinen. Hier fehlt es an Glaubwürdigkeit für das Unternehmen. Ein Beispiel hierfür konnte kürzlich auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn beobachtet werden: So hat im November 2022 der deutsche Handelsriese REWE die Kooperation mit dem DFB (Deutscher Fußball-Bund) aufgelöst, da der DFB auf Druck der FIFA auf die One-Love-Binde bei den Weltmeisterschaften in Katar verzichtet hat. Laut dem REWE CEO ist dies nicht vereinbar mit der Diversitäts-Auffassung von REWE. Brisantes Detail: Der Partnerschaftsvertrag wäre auch ohne das Zutun der FIFA in ein paar Monaten ausgelaufen – REWE hatte bereits im Oktober 2022 verkündet, diesen nicht weiterzuführen. Die Reaktionen auf die Entscheidung von REWE fielen auf den sozialen Medien hierfür oftmals kritisch aus: REWE sah sich dem Vorwurf der Scheinheiligkeit und des PR-Stunts ausgesetzt.10 Offensichtlich stuften die KritikerInnen die Handlung von REWE nicht als glaubwürdig ein. Diese Gefahr der fehlenden Glaubwürdigkeit treibt manche Unternehmen so weit, dass sie Abstand davon nehmen, ihre nachhaltigen Anstrengungen und Erfolge zu kommunizieren – auch Greenhushing genannt.11
Für den Verwaltungsrat heisst das: Was sind nachhaltige Handlungen und Ziele, welche das Unternehmen glaubhaft vertreten kann? Wie sieht eine glaubwürdige Kommunikation aus? Diese Fragestellungen liegen an der Schnittstelle zwischen Strategie und Markenführung. 4. Fazit Nachhaltigkeit sollte nicht nur als eine Implementierungs- und Monitorings-Aufgabe verstanden werden. Um die Früchte der nachhaltigen Bemühungen vollumfänglich zu ernten, geht es auch darum, die Bemühungen und Erfolge richtig und effektiv zu kommunizieren.
PwC (2019): Annual Corporate Directors Survey: The collegiality conundrum: Finding the balance in the boardroom.
The Forum of Young Global Leader (2020): Responsible leadership for a sustainable and equitable world.
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Langen R. and M. Menz (2022): Does your company need a chief ESG Officer?, Harvard Business Review, https://hbr. org/2022/02/does-your-company-need-a-chief-esg-officer.
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Tödtmann C. (2018): Wie wär`s mal mit der Entmystifizierung der Digitalisierung?, https://blog.wiwo. de/management/2018/01/26/wie-waere-es-mal-mit- entmystifizierung-der-digitalisierung/.
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Auszug von LinkedIn Kommentaren (2022): https://www.linkedin. com/feed/update/urn:li:activity:7002187238381862912/.
Speed M. (2022): Green Hushing on the rise as companies keep climate plans from scrutiny, Financial Times, https://www.ft.com/ content/5fd513c3-e23f-4daa-817e-aa32cf6d18d4.
(Ursprünglich erschienen NICG Board Dynamics Publikationen)
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